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Freiheit: Schwerpunkt der Ausgabe 4

„Meine Freiheit muss noch lang nicht deine Freiheit sein! Meine Freiheit: Ja! Deine Freiheit: Nein!“

Aus dem Liedtext „Meine Freiheit, Deine Freiheit“, Georg Kreisler

Freiheit ist ein umkämpfter Begriff

Es scheint klar zu sein: Auf Freiheit als Ziel können wir uns einigen. Egal welche Partei, egal wer – es gibt eigentlich niemanden, der (zumindest öffentlich) sagen würde: „Freiheit? Ach, hör mir auf!“.
Bei näherem Hinschauen, wird die Sache schon etwas schwieriger: Die meisten Parteien fordern die Freiheit der Wirtschaft und sprechen über den freien Markt, der schon alles regeln werde. Viele Menschen beklagen den Verlust der Freiheit durch die angebliche „Cancel Culture“, die immer dann angeblich zum Tragen komme, wenn man nicht mehr offen rassistisch, sexistisch oder andere diskriminierende oder menschenverachtende Aussagen treffen darf. Und die politische Rechte regt sich über die Einschränkung der individuellen Freiheit durch die Bevormundung bspw. der Grünen auf, die ihnen nahelegt lieber die Bahn statt des SUVs zu nehmen.
Last but not least spielt die Freiheit auch für linke und solidarische Menschen im Kampf um eine befreite Gesellschaft eine große Rolle.

Alle schreiben sich also Freiheit auf die Fahne – und alle meinen etwas gänzlich anderes. Oft widerspricht sich das eine Freiheitsverständnis erheblich mit dem anderen – und hier sind wir dann beim Liedtext von Georg Kreisler gelandet.
Daher war es für uns wichtig uns der Thematik anzunehmen und uns auf die Suche zu begeben was wir eigentlich unter Freiheit verstehen.

Diese Freiheit, die ich meine…

„Das darf man wohl doch noch sagen dürfen!“, „nicht mal mehr Diesel darf ICH tanken!“, „warum sollte ich MEIN Plastik nicht in MEINEM Garten verbrennen dürfen?“, „warum sollte der Staat MIR diktieren dürfen, dass ICH Maske tragen soll?“
Wer kennt solche Aussagen nicht? Auch wenn man im individuellen Fall solche Aussagen oft eher als vernachlässigbar oder vielleicht sogar als verständlich erachtet, gilt es einmal auf die Ursachen solcher Aussagen zu blicken – denn sie sind (in der Tendenz) Resultat einer seit Jahrzehnten forcierten Vereinzelung.
Diese Aussagen zeigen das individualistische Verständnis von Freiheit deutlich auf und blenden die kollektive/gesellschaftliche Dimension völlig aus.

Eine gefährliche Melange

Neben der sozialen Dimension dieser individualistischen Vorstellung von Freiheit wirkt aber auch die ökonomische Dimension. Wie oben erwähnt wird ja oft genug vom freien Markt gesprochen und von der Freiheit des Kapitals.

Neoliberale Ideologie


Neoliberale Ideologie

Vorangetrieben und verstärkt wurde die Vereinzelung durch die neoliberale Ideologie, die seit den 80ern Privatisierung und Individualisierung vorangetrieben hat und sich im allseits bekannten Satz „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ ausdrückt. Kurz: Es gibt nur individuelle Probleme, die man auch selbst lösen muss – verbunden mit dem Aufstiegsversprechen, dass jede*r es schaffen kann, wenn man sich nur genügend anstrengt.

Auch wenn man jetzt mit Gewissheit sagen kann, dass das individuelle Aufstiegsversprechen gründlich gescheitert ist, hat die Individualisierung und Vereinzelung ganze Arbeit geleistet: Probleme und Interessen werden individualisiert und nicht mehr als gemeinsame angesehen. Anders formuliert: Man schaut nur noch nach sich selbst, nach den eigenen Bedürfnissen und blendet die gesellschaftliche/kollektive Dimension aus.

Ausdruck davon sind u.a. solche Aussagen wie oben.1

In dieser Gemengelage gerät das kollektive Wohl zunehmend in den Hintergrund und individuelle Freiheit verschwindet zugunsten der grenzenlosen Freiheit des Kapitals. So beziehen Unternehmen Strom billiger, Steuererleichterungen oder Rettungspakete für Großkonzerne werden zusammen mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer diskutiert, die Öffnung von Grenzen gilt nur fürs Kapital und nicht für Geflüchtete, und und und …

Und obwohl das wie ein Widerspruch klingt (staatliche Freiheit fürs Kapital vs. individuelle Freiheit) verbindet das neoliberale Dogma beides zu einer gefährlichen Melange: Freiheit wird zu einer rein individualistischen Sache verklärt, die ihren kollektiven Charakter abgelegt hat. Konsequent weiter gedacht hat dies fatale Folgen für ein kollektives Miteinander: Alles wird als individuelles Problem wahrgenommen, gemeinsame Interessen werden verschüttet, und Menschen vereinsamen zunehmend – Dies führt zu Resignation und Frustration von Einzelnen, erschwert aber kollektive Organisierung zunehmend – um nur einige Auswirkungen zu nennen.

Ziel des Schwerpunkts

… ist es dem individualistischem (Miss-)Verständnis von Freiheit etwas entgegenzusetzen. Es geht darum Freiheit als eine gesellschaftliche Dimension, als etwas Kollektives zu präsentieren, das auch nur in Beziehungen untereinander sich entfaltet.

Dabei geht es uns nicht darum, die Freiheit jedes Einzelnen zu unterminieren, sondern die persönliche Freiheit in Beziehung mit der kollektiven Dimension zu setzen.
Uns ist klar, dass wir das im Rahmen dieses Schwerpunkts nicht schaffen werden, aber wir möchten einen Anfang setzen und in die Diskussion darüber kommen was wir unter Freiheit verstehen.
Dafür werfen wir im Rahmen des Schwerpunkts einen Blick auf unterschiedliche Dimensionen des Begriffs und betrachten diesen aus unterschiedlichen Perspektiven.

  1. Hier gilt zu betonen, dass es auch bereits vor dem Neoliberalismus Vereinzelung, Individualisierung und Konkurrenz gab. Die neoliberale Ideologie hat diese „nur“ verschärft. ↩︎
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