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Interview mit dem Freien Radio für Stuttgart

Ein Gespräch mit Oliver, Sabine und Sarah

Das Freie Radio für Stuttgart (FRS) ist seit 1996 on air und bietet seither ein buntes Programm, das von mehr als 250 engagierten ehrenamtlichen Radiomacher*innen gestaltet wird. Auch im Hinblick auf den Schwerpunkt dieser Ausgabe wollten wir es genauer wissen und haben uns mit Oliver, Sabine und Sarah zu einem Gespräch über das Freie Radio, das Programm, Freiheit und vieles Weitere unterhalten.alten.

„Wer hier Radio machen will, kann das einfach tun.“

Könnt ihr einen Überblick geben, was es bei euch alles gibt?

Oliver: Musik natürlich, sehr viele verschiedene Musiksendungen, von Klassik angefangen, über Drum and bass oder Dark Waves, Sachen die in den 90er Jahren aktuell waren und heute noch immer, eine Metal Sendung, die aber inhaltlich durchaus breiter als Metal aufgestellt ist – bis hin zu Dingen, die eher als „Special Interests“ kategorisiert werden könnten.

Sarah: Wir haben eine Kulturpalast Redaktion und eine Kulturredaktion. Wir haben eine große Vielfalt was das angeht. Meine Sendung ist die “Stunde der Poetinnen“. Ich lade da Poeten und Poetinnen ein, die hauptsächlich in Stuttgart tätig sind und Texte und Gedichte schreiben, um die Poesie unter die Menschen zu bringen, weil ich glaube, dass auch Poesie die Macht hätte, gesellschaftliche Strukturen zu verändern.

Sabine: Mir ist dabei immer wichtig, dass wir auch einen lokalen Bezug haben, da wir ein lokaler Sender sind. Ich mache eine Literatursendung und ich schaue danach, dass ich vor allem Menschen in die Sendung einlade und thematisiere, die eine Verbindung zu Stuttgart haben. So ist es auch bei den Musikerinnen und Musikern und den Bands zum Teil auch.

Oliver: Wir haben seit Beginn an die Inforedaktion als einen inhaltlich wichtigen Punkt. Jeden Wochentag von 18-19 Uhr sendet die Inforedaktion. So können wir gewährleisten, dass es jeden Wochentag Raum für politische Inhalte gibt.
Die werden gefüllt von verschiedenen Einzelinitiativen. In dem Rahmen haben auch Gruppen wie Amnesty International oder Greenpeace einen Sendeplatz. Es gibt die libertäre Welle, die „AG Weiße Fabrik“, die einen kritischen Blick auf ihre Arbeit im Krankenhaus und Gesundheitswesen hat und darüber auch seit Beginn an im Freien Radio berichtet – um jetzt nur einige zu nennen. Wir übernehmen aber auch aus Berlin ein Magazin zu Lateinamerika.

Sabine: Ein Sozialmagazin haben wir auch.

Oliver: Außerdem haben wir „radioSCHAUen“ eine Live Sendung mit Musik, Diskussionsrunden, Performance – natürlich immer unter der Bedingung, dass es akustisch funktioniert, alle sind herzlich eingeladen zuzuschauen und zuzuhören.

Sabine: In dem Rahmen findet auch das philosophische Café mit Diskussionsrunden mit Publikum statt. Das machen wir jetzt seit 11 Jahren. Begonnen haben wir, als wir im September 2013 in die jetzigen Räumlichkeiten eingezogen sind.

Eine große Vielfalt also. Was würdet ihr sagen: Wodurch unterscheidet sich das Freie Radio von kommerziellen Sendern?

Sabine: … dass wir nicht kommerziell sind.

Sarah: D.h. konkret, dass wir keine Werbung schalten. Wir sind anders organisiert und finanziert.

Oliver: Genau, wir müssen kein Geld verdienen mit dem Radio und damit brauchen wir keine Werbung. Das ist das Entscheidende.
Aber es zeigt sich auch noch an weiteren Aspekten: Alle machen hier Radio ehrenamtlich, also in ihrer Freizeit und verdienen damit auch nichts.

Sabine: Das Prinzip zieht sich bis in die Struktur: Wir sind selbstverwaltet und ohne Hierarchie. In dem Sinn ist das auch der Unterschied zu kommerziellen Radiosendern.

Sarah: Genau, wir organisieren uns über ein regelmäßiges Plenum, das einmal im Monat stattfindet. Da sind alle Redaktionsmitglieder oder auch Delegierte aus den einzelnen Redaktionen eingeladen.

D.h. auch inhaltlich gibt es Unterschiede zu kommerziellen Sendern?

Sarah: Ja, genau. Das Programm wird von den Macherinnen gestaltet, unabhängig davon, ob der Inhalt bei Werbekunden ankommt oder nicht.

Sabine: Was das Freie Radio auszeichnet, ist eine große Bandbreite an vielen verschiedenen interkulturellen Redaktionen. Redaktionen, aus vielen verschiedenen Ländern, z.B.: Eritrea, iranische Redaktionen, Platform Iberoamerica und vieles mehr.

Oliver: Wir haben aktuell 13 Sprachen.

Sabine: Die Sendungen werden nicht nur in Stuttgart gehört, sondern teils auch in den Ländern selbst. Das unterscheidet uns von kommerziellen und auch von den öffentlich rechtlichen Sendern. Ich glaube, das ist auch heute – trotz Internet – sehr wichtig für die Communities, Sendungen in ihrer Sprache zu hören. Solche Sendungen helfen den Menschen, in Verbindung mit anderen Menschen zu bleiben.

Oliver: D.h. wir haben ein großes Spektrum, was nicht per se ein Unterschied ist zu anderen Radiosendern ist. Aber inhaltlich gibt es den Unterschied, dass wir uns viel Zeit nehmen für Themen. Es gibt bspw. keine Formatvorgaben, wie dass Beiträge nur eineinhalb Minuten sein dürfen oder ähnliches. Bei uns gibt es viel Zeit und Raum für Themen und für Experimente.
Außerdem sind wir offen. Das heißt, wer hier Radio machen will, kann das einfach tun, mal verkürzt gesagt. Es braucht keine journalistische und technische Ausbildung, das bieten wir in Form von Workshops an. So kann man ganz niedrigschwellig einsteigen.

Praktisch ein doppelt freies Radio – aber im positiven Sinne: Frei vom kommerziellen Zwang und frei in der Wahl der Themen. Ist das so?

Oliver: Ein paar Bedingungen gibt es natürlich schon, das ist unser Redaktionsstatut und die Vereinssatzung. Das Radio ist getragen von einem Förderverein. Im Rahmen dieser Bedingungen ist so gut wie fast alles möglich.

Sabine: Es gibt ja die Meinung, wenn es freies Radio heißt, kann ich alles machen was ich will. Ganz so ist es nicht. Wir haben uns ganz am Anfang auf ein Statut geeinigt, auf das muss man sich verpflichten, wenn man hier senden will. Wir legen auch Wert darauf, dass nicht Einzelne senden, sondern dass die Sendenden in eine Redaktion eingebunden sind, um Feedback zu haben, um zu diskutieren, was gesendet wird. Was nicht heißt, dass nicht auch mal was schief geht.
Das kann dann auch mal über den Sender ausgetragen werden, wenn es verschiedene Meinungen gibt.

Oliver: Oder es wird in Form von Sendekritik im Zweifelsfall auch mit Sanktionen belegt, wenn eindeutige Verstöße gegen das Presserecht und unserem Statut feststellbar sind.
Es gibt egal welche Sendeformate – kommerziell oder nicht kommerziell – das Presserecht, dem auch wir verpflichtet sind. Wir können im Zweifelsfall darauf festgenagelt werden, anhand dessen auch kritisiert werden oder es können auch „Verstöße“ geahndet werden.

Was ist für euch wichtig aus dem Statut, worauf ihr auch immer ein Auge habt?

Oliver: Vor allem, dass es keine diskriminierenden Inhalte in den Sendungen gibt.

„Was das Freie Radio auszeichnet, ist eine große Bandbreite an vielen verschiedenen interkulturellen Redaktionen.“

Ihr habt ja gesagt, dass man nicht einfach tun und sagen kann, was man will. Es ist ein freies Radio, frei von gewissen Zwängen, andere Inhalte können gesendet werden, aber es findet alles im Kollektiv, im Verbund statt und darüber gibt es wie ein gemeinsames Korrektiv – durch die Diskussion in der eigenen Redaktion, aber auch durch den Austausch der Redaktionen u.a. im Plenum.

Sabine: So sollte es sein, so war die Idee vor über 30 Jahren, als wir – ich bin aktiv mit dabei gewesen – das Statut erstellt haben. Das wird von den Redaktionen unterschiedlich gelebt, manche machen das mehr, manche weniger.

Klar, gerade bei so vielen ehrenamtlichen Redakteuren gibt es natürlich unterschiedliche Handhabungen. Wir können uns vorstellen, dass das manchmal nicht ganz einfach ist, das zu koordinieren und zu organisieren. Wie sieht denn eure Struktur neben dem bereits erwähnten Plenum aus?

Oliver: Das erwähnte Plenum ist für den Sendealltag zuständig, also Sendezeiten usw. Der ganze weitere Überbau, praktisch die Klammer um das Ganze, ist der Verein. Die Geschäftsfähigkeit und auch die Vertretung nach außen – wenn es bspw. um Förderung und ähnliches geht – liegt beim Vorstand des Vereins, als Ergänzung der Struktur.
Wir haben relativ schnell festgestellt: Das Radio wird so groß, dass bestimmte Bereiche verbindlich und kontinuierlich betreut und bearbeitet werden müssen und so war es dann bei mehr als 200 Ehrenamtlichen, notwendig Verlässlichkeit durch hauptamtliche Stellen zu schaffen. Zur Zeit sind es vier Hauptamtliche in Teilzeit, die diese Aufgaben übernehmen.

Über 200 Ehrenamtliche und dauerhaftes Programm mit so vielen Redaktionen. Wow. Erstmal Gratulation an euch, dass ihr so lange „durchgehalten“ und es beständig ausgebaut habt.
Wir haben gehört was es bei euch alles gibt, wie ihr euch strukturiert und was ihr darunter versteht „frei“ zu sein. Wie würdet ihr euch als freies Projekt denn etwas allgemeiner charakterisieren?

Oliver: Man kann schon sagen, dass wir ein sehr heterogenes Projekt sind. Wir sind auch ein politisches Projekt, was aber nicht heißt, dass alles was hier stattfindet per se politisch ist oder aus einem politischen Bewusstsein oder einer bestimmten politischen Perspektive geschieht. Aber als Gesamtes von der Idee her und wie wir das Projekt leben und umsetzen, ist es ein politisches Projekt, in aller Heterogenität.

Sabine: Die Grundidee ist, die die öffentlich sichtbar sein und die die etwas senden wollen, müssen das selber machen. Wir haben im Lauf dieser 30 Jahre oft gedacht, die ein oder andere Redaktion mehr zu haben, wäre gut. Aber wenn die Leute das nicht selber machen, hilft es nix.

Wie würdet ihr das Engagement und die Beteiligung über die Zeit denn einschätzen? Hat es eher zu- oder abgenommen?

Sabine: Früher gab es ein größeres „wir“-Bewusstsein, es gab mehr Engagement. Nach über 30 Jahren ist es etwas eingefahren und es gibt einen anderen Umgang.

Oliver: Das Engagement und die Bereitschaft ändert sich schon auch mit den Zeiten. Und man kann schon sagen, dass z.B. auch in Bereichen, in denen Hilfe nötig ist – bspw. unser Sommerfest – es über die Jahre insgesamt rückläufig war.
Das Wesentliche war und bleibt dabei aber, das Radio machen und hier ist es oft davon abhängig, welche Kontakte haben diejenigen, die aktuell Radio machen. Der Kontakt ist das eine, das andere, ob die Leute auch Zeit dafür haben.
Radio machen ist im technischen Sinne nicht schwierig, aber immer wenn inhaltlich gearbeitet wird, wenn man was Gutes machen will, ist es zeitaufwendig: Man muss recherchieren, Interviews führen, die Recherchen müssen aufgearbeitet werden, all das ist oftmals zeitaufwendiger, als viele sich das vorstellen. Und so kommt es auch, dass die, die mit viel Enthusiasmus starten, merken „hoppla, das ist doch mehr als gedacht“.
Das soll jetzt aber niemand davon abhalten, Radio zu machen.

Sabine: Ganz im Gegenteil. Bei uns ist es ja auch so: Wer senden will, wird bei uns an die Hand genommen: mit Workshops, generelle Unterstützung.

Oliver: Die ganze Infrastruktur steht zur Verfügung…

Sabine: Aber – wie gesagt – Machen müssen die Leute selber.

„Ein Radio ist nur so lange Radio, wie es Sendungen gibt. In dem Sinne: Macht Radio, nutzt die Möglichkeiten, um eure Ideen umzusetzen und zu verbreiten.“

Dabei spielt Corona ja auch eine Rolle. Hier ist ja ganz allgemein gesprochen das Engagement zurückgegangen. Auch weil es natürlich in der Zeit schwer geworden ist, überhaupt etwas zu tun und aktiv zu sein, aber auch weil das – unserer Ansicht nach1 – auch die Vereinzelung vorangetrieben hat. Ist das bei euch spürbar geworden?

Oliver: Eigentlich ist das Radio auch immer ein Begegnungsraum gewesen. Es waren immer auch schöne Momente, wenn live gesendet wurde. Die eine Redaktion hat das letzte Lied reingelegt, die anderen kamen schon rein, man hat sich begrüßt und schon die nachfolgende Sendung angekündigt, es war so im Fluss, man kannte sich. Da hat sich seit Corona schon was geändert.

Sabine: Das Radio ist seit dieser Zeit nicht mehr so ein Begegnungsort. Wir konnten „technisch“ reagieren, so dass vorproduziert und automatisch gesendet wird. Aber dadurch findet auch nach Corona in den Räumen nicht mehr so viel Begegnung statt.

Oliver: Ich bin als Hauptamtlicher zwei Tage die Woche hier und manchmal ist hier nicht viel los. Aber Programm gibt es, das Programm läuft. Produziert wird zu Hause. Das hat natürlich auch Vorteile, insofern, dass wir auch mehr Sendezeiten am Vormittag belegen können.

Es ist spannend was ihr erzählt, da sich diese Tendenz natürlich in vielen Räumen – auch im Gasparitsch – gezeigt hat. Ganz speziell natürlich auch während Corona.
Da spielt es natürlich auch eine Rolle, wie man sich nach außen darstellt und wie man auch im Gedächtnis bleibt. Ihr macht ja noch recht viel neben dem Radio, oder?

Sabine: Ja. Wir machen bspw. relativ viele Workshops an Schulen.

Oliver: Hier hatte ich erst vor ein paar Wochen das schöne Erlebnis, als eine Studierende von der Kunstakademie auf uns zukam und den Rundgang durch die Akademie durch Radio begleiten lassen möchte. Sie hat erzählt, dass sie auf uns gekommen ist, weil sie vor ungefähr 10 Jahren als Schülerin einen Workshop bei uns gemacht hatte. Bei den Workshops, glaube ich, bleibt schon viel hängen, auch wenn wir es oft gar nicht unmittelbar mitkriegen.

Sabine: Allgemein sprechen wir Leute direkt an, versuchen auch gut sichtbar zu sein. Wir versuchen anderes Publikum über die radioSCHAUen-Termine in die Räume des Freien Radios zu locken. So kommen immer wieder Leute zu den Veranstaltungen, die noch nie etwas von uns gehört haben.

Oliver: Außerdem machen wir viel medienpädagogische Arbeit, die wir zum Teil selber betreuen oder in Kooperation mit der Medienschule Stuttgart-Ost, der Merzakademie und dem AKI Raitelsberg. Da haben wir in diesem Jahr viele Aktionen gemacht, im Außenbereich mit unserem Studio auf dem Lastenrad. Damit können wir mit einfacher Technik vor Ort „Offline-Radio“ machen oder auch live senden.

Sarah: Beim Umsonst & Draußen haben wir schon Live-Sendungen gemacht und die letzten 2 Jahre waren wir auch beim CSD dabei – auch mit dem Ziel, junges Publikum zu erreichen.

Oliver: Wir machen Medienpartnerschaften mit Veranstaltungen im Musik- und Kulturbereich. Z.B sind wir seit Jahrzehnten… Medienpartner vom Filmwinter, der auch hier im Stuttgarter Osten sein Büro hat. Was ja dann auch heißt, dass es Sendungen zum Thema gibt.

Sabine: Unser Sommerfest ist ein relativ guter Anlaufpunkt, wo wir unsere Räume zeigen und erzählen, was wir tun. Wir haben auch schon „Tag der offenen Tür“ gemacht – die auch immer gut besucht waren. In letzter Zeit nicht mehr, auch das ist eine Frage der Kapazität.

Oliver: Bei Stadtteilaktionen, dem Stöckachfest, beim Ost-Läufer beteiligen und bringen wir uns ein. Da kommen wir wieder an den Punkt, es gibt die Hauptamtlichen, die Sachen initiieren können, aber ohne Support geht nichts.

Wie versucht ihr die Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten und wie kann man euch unterstützen?

Sarah: Wir wollen eine Plattform bieten, wo Menschen ihre Themen weitergeben können. D.h. hier können Netzwerke, die in Stuttgart bestehen, im Radio zusammenkommen und ihre Message verbreiten.

Sabine: Generell natürlich, indem man Mitglied wird und damit das Radio auch nachhaltig sichert.

Sarah: Auch indem die politischen Beiträge weiter ausgebaut werden. Zum Beispiel, dass wir es vielleicht wieder hinkriegen, eine Antifa Redaktion aufzubauen.

Oliver: Vor allem dadurch, dass möglichst viele Radio machen. Ein Radio ist nur so lange Radio, wie es Sendungen gibt. In dem Sinne: Macht Radio, nutzt die Möglichkeiten, um eure Ideen umzusetzen und zu verbreiten. Unterstützung bekommt ihr.

  1. Siehe dazu auch unserer erste Blättle Ausgabe mit dem Schwerpunkt zu Corona ↩︎
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