von Peter Schmidt

„Nichts bietet mehr Freiheiten
als die Kunst!“

William A. Hunt

Ja, das tut sie, die Kunst bietet auch die Freiheit, völkische Positionen mittels ihrer Möglichkeiten zu vertreten. Sie ist eine Waffe im Kulturkampf geworden. 1985 erschien das Buch „Kulturrevolution von rechts“ von Alain de Benoist, das diesen Kulturkampf eröffnete. Davon ausgehend, massiv unterstützt von identitärem Gedankengut, ist sie nun durch die Aktivitäten und Erfolge der AfD zum Schauplatz der kulturellen Auseinandersetzung hier geworden. Die Kunst soll wieder deutscher werden, soll der deutschen Identität dienen. Die angeblich linke Kunstszene soll ausgetrocknet und entsprechend durch passende Künstlerinnen und Künstler ersetzt werden. Die PiS-Regierung in Polen hat es mit der Neubesetzung wichtiger Positionen in Kunstinstitutionen vorgemacht, z.B. sollte der nationalistische Künstler Ignacy Czwartos den polnischen Pavillons bei der diesjährigen Biennale in Venedig bespielen und damit Polen vertreten, was nun verhindert wurde.

Aus dieser Sicht ist Kunst zumindest momentan noch eine linke oder zumindest emanzipatorische Sache, internationalistisch im Einsatz für eine bessere Welt. Was aber ist passiert, wenn in dieser ach so emanzipatorischen Kunstszene plötzlich antisemitische Positionen vertreten werden, wenn in ihr Militarismus Platz eingeräumt wird? Ist die Kunst dann immer noch der Ort, an dem eine bessere Welt zumindest erahnbar wird? Offensichtlich ist die Kunst so frei, dass in ihr freiheitliche, emanzipatorische, aber auch antisemitische, militaristische, nationalistische Positionen einen Platz finden. Kunst kann für jedes beliebige individuelle Interesse oder Gruppeninteresse eingesetzt werden. Alle Versuche, Kunst zur unpolitischen Sache zu erklären, sind gescheitert, sie ist und bleibt politisch und damit auch absolut umkämpft. Freiheit in diesem Sinne ist pure Beliebigkeit, die nur bedeutet, dass Kunst frei von Zwängen ist, tun und lassen kann, was sie will.

„Diese Art der Freiheit ist nicht die Freiheit tun und lassen zu können, was man will, sondern das Besondere, das andere Dimensionen öffnet, eine Unterbrechung des Alltäglichen. “

Damit stellt sich die Frage, ob Kunst eine andere Art von Freiheit, die jenseits von Interessen liegt, erfahrbar machen kann. Hat sie eine besondere, durch nichts anderes ersetzbare Kraft? Einst hatte die Kunst eine direkte Verbindung zum Göttlichen. Die Kunst öffnete Welten, ließ die Menschen den Himmel und die Qualen der Hölle zumindest erahnen. Das war keine Kopfsache, hier wurde nicht argumentiert, es gab keine Einsicht in rationale Erkenntnisse, hier wurde etwas erlebt, andere Welten jenseits des Alltags taten sich auf. Diese ursprüngliche „Kraft der Kunst“ war eng verbunden mit der Religion. Nachdem die Religion stark an Bedeutung verloren hatte, stellte sich die Frage nach dieser Kraft neu. Konnte und kann sie, andere Welten vorstellbar machen, nicht als pure Fantasie, sondern ein Stück Erleben oder zumindest eine Ahnung einer anderen Welt vermitteln? Kann Kunst als säkularisierte Religion angesehen werden, die eine Orientierung auf eine andere Welt, nicht im Himmel, sondern hier auf Erden, vermittelt?

„Die Kunst kann ein freieres Leben präsent halten.“

Diese Art der Freiheit ist nicht die Freiheit tun und lassen zu können, was man will, sondern das Besondere, das andere Dimensionen öffnet, eine Unterbrechung des Alltäglichen. Wenn Gefühl und Verstand, Körper und Geist, Leib und Seele… gleichzeitig erreicht werden, dann kann Kunst erlebt und in ihrer Tiefe ausgeschöpft werden. Diese Freiheit kann zunächst scheinbar sehr banal daherkommen, in der zeitgenössischen Kunst können dies einfache Gegenstände sein, mit denen sich aber jemand beschäftigt hat, dort das Besondere gefunden hat. Außerhalb des Wissens um Kunst würde man an diesen achtlos vorbeigehen. Aber so kann sie diese Freiheit vom Alltäglichen, von den Zwängen, die uns umgeben, mit der Perspektive auf das Andere geben. Dann kann sie die Ahnung auf ein freieres Leben präsent halten, kann das Gefühl und den Gedanken zusammenbringen. Ob die Kunst heute noch diese Kraft der Ästhetik in Verbindung mit dem Gedanken hat oder ob sie diese Stellung nicht längst verloren hat, ist umstritten. Einerseits sind Bilder, Filme, Musik, Texte… durch ihre Allgegenwart zunächst nichts Besonderes mehr und andererseits geht heute die große Faszination vor allem von der Warenwelt aus. Die Ästhetisierung der Waren versucht die Mittel der Kunst für ihre Zwecke zu nutzen und ihren Platz im Leben der Menschen einzunehmen. Das Genie hatte einst eine Verbindung zum Göttlichen, ob der Star, der Nachfolger des Genies, ebenfalls eine Verbindung zum Göttlichen hat oder nur das Produkt der Kulturindustrie ist, die Kunst zur wohlfeilen Ware macht, ist ebenso umstritten.

So oder so ist die Freiheit, die die Kunst schafft, zunächst „nur“ eine temporäre Befreiung, eine individuelle Befreiung, die nur solange dauert, wie das Kunsterlebnis dauert. Ob dabei eine Veränderung der Person vor sich geht, die dann zu längerfristiger, insbesondere gesellschaftlicher Freiheit führt, hängt von der Intention der Künstler*in oder des Kunstkollektivs ab, von der Qualität der jeweiligen Arbeit, von dem, was sie transportiert und davon wie diese Erfahrung, die die Kunst vermittelt, aufgenommen wird.

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