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Der Weltladen Fair-Ost: 5 Jahre am Ostendplatz

Interview mit Andrea und Peter vom Weltladen Fair-Ost

Mögt ihr euch und den Weltladen kurz vorstellen?

Andrea: Ich heiße Andrea und bin seit etwas mehr als 4 Jahren im Weltladen Fair Ost am Ostendplatz engagiert. Wir arbeiten alle ehrenamtlich im Weltladen. Der Weltladen Fair Ost ist 2009 in Gablenberg gegründet worden und ist vor 4 Jahren – im Juni 2020 – nach dem ersten heftigen Lockdown an den Ostendplatz gezogen. Seitdem bin ich dort engagiert, inzwischen auch im Vorstand des Trägervereins, der das juristische Gerüst des Weltladens ist.

Peter: Ich bin Peter und habe Ende 2021 / Anfang 2022 zum Weltladen FairOst gefunden. Es war reiner Zufall. Ich habe eine Mitarbeiterin kennengelernt, die mich fragte, ob ich Interesse hätte, mitzuarbeiten. Da ich vor vielen Jahren recht viel in Richtung Entwicklungszusammmenarbeit gemacht habe, war das ein Thema, das mir sehr gelegen hat und ich habe deshalb zugesagt. Seither bin ich dabei. Auf der einen Seite machen wir unseren Ladendienst, das heißt, wir stehen im Laden hinter der Kasse und verkaufen, auf der anderen Seite, und das war für mich wichtig, ist eben auch die politische Arbeit, die damit zusammenhängt. Das war der Grund warum ich gesagt habe, da geh ich dazu.

Andrea: Ganz grob kann man sagen, alle Weltläden in Deutschland, Österreich, der Schweiz und in Frankreich unterstützen den fairen Handel, dafür sind sie gegründet worden.
Ich persönlich habe eine hohe Affinität zu Afrika, weil ich da früher öfter und länger war und ich mich mit den Widerstandsbewegungen im Südlichen Afrika und den Entwicklungen dort beschäftigt habe. Daher sind mir diese Themen, die mit Entwicklungszusammmenarbeit und dem globalen Süden zusammenhängen, ziemlich nah. Das war für mich mit ein Grund, mich beim Weltladen einzubringen, als meine Berufstätigkeit aufgehört hat.

„Viele Leute aus der Weltladenbewegung waren massiv beteiligt, […] die Themen, die einen gerechten Handel, ein gerechteres Wirtschaften betreffen, auf allen Ebenen voran zu treiben.“

Peter: Wir können jetzt auf 50 Jahre Weltladengeschichte zurückblicken, letztes Jahr wurde das ja gefeiert. Stuttgart war die erste Stadt in Deutschland, die einen Weltladen hatte. Das Ziel ist immer gewesen, fair gehandelte Produkte anzubieten. Anders als wenn ein Fairtrade Siegel draufgepackt wird, was man so aus den Supermärkten kennt, ist das was wir machen eine komplett transparente Lieferkette. Es ist nicht nur durch irgendeine Organisation fair gelabelt, sondern unsere Handelspartner, gerade die großen Handelspartner im fairen Handel, wissen haargenau was vor Ort läuft und sind dort auch engagiert, diese faire Lieferkette umzusetzen und auf die Art und Weise den Bäuerinnen und Bauern- vieles sind ja landwirtschaftliche Produkte, die gehandelt werden- einen Absatzmarkt in Europa zu bieten. Das ist einer der Hauptgründe gewesen, warum die Weltläden entstanden sind.

Andrea: Die Weltläden sind nicht nur aus dem Grund entstanden, zu handeln und zu verkaufen, sondern auch um die Geschichten hinter den Produkten an die Kunden zu bringen, Aufklärungsarbeit sowie Bildungsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Das heißt, den reichen Nationen – also uns hier- die Themen des fairen Handels und die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt nahe zu bringen. Deshalb sind die Weltläden so strukturiert: auf der einen Seite Handel treiben, auf der anderen Seite nicht nur theoretisch, sondern ganz konkret am Produkt, z.B. am Kaffee, an der Schokolade, am Kunsthandwerk, am Öl und vielem mehr, also an diesen Produkten zu erklären, was dahinter steckt.

Peter: Bewusstseinsbildung bei den Kunden ist ganz wichtig, aber auch die politische Arbeit, das heißt Engagement in Zusammenhängen, die über das Thema Weltladen hinaus gehen. Viele Leute aus der Weltladenbewegung waren massiv beteiligt, sich für das Lieferkettengesetz in Deutschland einzusetzen. Das heißt, die Themen, die einen gerechten Handel, ein gerechteres Wirtschaften betreffen, auf allen Ebenen voran zu treiben.

Andrea: Dann kommt noch dazu, dass Themen, die früher eine nicht so große Rolle gespielt haben, wie Nachhaltigkeit und die Umwelt, mittlerweile eine wichtige Rolle spielen. Dann kommt noch ganz konkret die lokale Vernetzung mit anderen Initiativen vor Ort dazu. So ein Weltladen ist ja nicht im luftleeren Raum, und hier im Stuttgarter Osten schon gar nicht. Der Weltladen ist nicht einfach nur ein Laden.

„Stuttgart war die erste Stadt in Deutschland, die einen Weltladen hatte.“

Peter, magst du auch noch erzählen, wie du zum Weltladen gekommen bist?

Peter: Ähnlich wie bei Andrea über den historischen Hintergrund, über mein Interesse an „Weltarbeit“. Ich bin sozialisiert über Lateinamerika, nicht wie Andrea über Afrika. Ich war früher stark in Nicaragua-Initiativen engagiert, das ist dann durch Beruf und Familie ziemlich ins Hintertreffen geraten. Interesse und Beziehungen waren jedoch immer noch da. Jetzt habe ich wieder Zeit, weil ich aufgehört habe zu arbeiten, und kann hier an anderer Stelle wieder einsteigen.

Andrea: Was ich auch noch schön finde ist, dass man nicht nur theoretisiert, sondern durch die Produkte, die man anfassen, riechen, schmecken, essen kann, ganz konkrete Beispiele hat und sich an diesen Beispielen über Arbeitsbedingungen, über die sozialen Bedingungen, über Politik informieren und dieses weitergeben kann. Das kann politisch wirksam sein, weil es nicht so abstrakt ist. Wenn ich Jugendlichen und Praktikanten oder in Schulen etwas über die konkreten Produkte, die im Laden liegen, erzähle, warum es so viel kostet, wie viel Geld die Kakaobauern, die Händler, die Zwischenhändler, die Konzerne kriegen, dann ist das viel, viel anschaulicher, als wenn ich mir nur überlege wie schlecht es diesen Menschen geht und was man da machen könnte. Das finde ich das Charmante und Sinnvolle an der Weltladenarbeit.

Wie kann man bei euch mitmachen? Braucht es Voraussetzungen? Du hast gerade von Praktikanten gesprochen, ist es möglich ein Praktikum/Schulpraktikum im Weltladen zu machen?

Andrea: Ja wir hatten schon Praktikanten, sowohl in der Berufsorientierung als auch im Rahmen eines freiwilligen sozialen Dienstes (FSJ). Aber wir haben einfach nicht die Kapazitäten, dass es viele Leute machen können. Mitmachen kann jede/jeder, der sich für die Themen interessiert und bereit ist, ehrenamtlich zu arbeiten. Wir haben keine Jobs zu vergeben, sondern arbeiten rein ehrenamtlich. Und da suchen wir immer Leute, da die meisten, die bei uns arbeiten, ältere Menschen sind. Ein paar wenige sind berufstätig, aber die Zeit während der Berufstätigkeit ist ja meist eingeschränkt.

Peter: In den Praktika über die Schulen wollen die Leute meist etwas über den Einzelhandel erfahren. Das ist bei uns zwar möglich, aber etwas Spezielles. Vielleicht wird dadurch jemand motiviert sich darüber hinaus zu engagieren. Wir bieten Praktika an, können es aber vom Betreuungsaufwand her nicht mit vielen machen.

Andrea: Wir gehen, wenn es gewünscht wird, auch an Schulen und können Impulse geben, z.B. ob es wirklich nötig ist, jedes Jahr ein neues Handy zu kaufen, unter welchen Arbeitsbedingungen diese hergestellt und welche Rohstoffe verwendet werden.
Bei uns können auch Leute mitarbeiten, die keine Zeit für regelmäßigen Ladendienst haben, aber uns bei Kampagnen, in der Bildungsarbeit, der Öffentlichkeitsarbeit oder beim Management im Hintergrund unterstützen. Das geht auch.

Peter: Man muss nicht zwei Vormittage im Laden stehen.

Andrea: Nein! Aber um viele Leute kennenzulernen, die bei uns mitarbeiten, ist es natürlich gut, wenn man öfter mal im Laden ist und auch einen Ladendienst macht.

„Der zweite Wunsch ist, dass es die Leute nach wie vor genießen, dass der Laden existiert, der so ein kleiner Anker am Ostendplatz ist. “

Glaubt ihr, dass der Weltladen das Kauf- Konsumverhalten von Menschen ändern kann? Oder trefft ihr im Laden eher auf Menschen, die schon nachhaltig bewusst kaufen?

Peter: Ich würde es mal so formulieren, sie kommen zu uns zumindest mit einer gewissen Regelmäßigkeit erst dann, wenn sie angefangen haben, ihr Kaufverhalten zu ändern. Aber die Tatsache, dass es uns gibt hat meines Erachtens schon massiv dazu beigetragen, dass sich im Bewusstsein der Leute etwas verändert hat und dass das Thema „Fairness im Handel“ präsent ist. Selbst wenn man sagt, ich kann mir das nicht leisten, kann man trotzdem ein Bewusstsein haben, das so weit geht sich auch über Kleidung (die wir nicht im Laden haben) Gedanken zu machen. Dieses Bewusstsein, dass Menschen für Produkte, die billig konsumiert werden können, massiv ausgebeutet werden, hat die Weltladenbewegung schon geschafft. Einfach schon durch die Präsenz in den Städten. Nicht ohne Grund findet man mittlerweile in Supermärkten, bei Produkten wie z.B.: Kaffee, ganze Regale mit Fairtrade Produkten. Nicht nur Fairtrade Label, sondern auch das, was auch wir vertreiben, z.B. von Gepa, wo die Lieferketten sauber und fair sind. Das wäre ohne Weltläden nie passiert.

Andrea: Wir haben auch viele Kunden, die zu uns kommen, weil sie ein Geschenk suchen, weil es bei uns Sachen gibt, die es woanders nicht gibt. Es kommen auch Leute, weil es bei uns nett ist und auch, weil die Leute nett sind, die da arbeiten und der Laden bunt und freundlich ist.

Peter: Bei uns gibt es aber auch einfach Produkte, die qualitativ so gut sind, dass man sie im Weltladen kauft.

Andrea: Was bei uns im Laden übrigens gut geht sind Räucherstäbchen, die wir in einer großen Auswahl haben. Das ist so ein Produkt, das bei jungen Menschen sehr gefragt ist.

Was wünscht ihr euch für den Weltladen am Ostendplatz und für euch selber?

Peter: Nach der Corona-Pandemie ging es uns verhältnismäßig gut, aber seit dem Ukrainekrieg, wo sich die steigenden Energiepreise bei den Leuten bemerkbar gemacht haben und das Geld knapper wurde, haben wir das an den Umsätzen gesehen. Das ist etwas, das wir uns wünschen, dass sich die Umsätze stabilisieren, weil sonst eine Grenze erreicht wird, wo wir uns nicht mehr halten können. Selbst mit ehrenamtlicher Arbeit haben wir laufende Kosten, wie Miete, Energie und so weiter. Das ist der Wunsch speziell für den Laden, dass sich die Umsätze stabilisieren und vielleicht noch ein bisschen steigen. Der zweite Wunsch ist, dass es die Leute nach wie vor genießen, dass der Laden existiert, der so ein kleiner Anker am Ostendplatz ist. Und wie schon gesagt, dass die Vernetzung mit den verschiedenen lokalen Initiativen auch langfristig weitergeht, wie z.B. der Ost-Läufer. Ansonsten hoffe ich, dass die große Politik die eingeschlagenen Wege bezüglich Lieferketten und Verantwortung in Lieferketten in die Praxis umsetzt. Dass Gerechtigkeit auch ein Stück weit institutionalisiert wird.

Andrea: Dem schließe ich mich an und wünsche mir, dass wir noch ein paar Leute mehr werden, mehr Aktivitäten außerhalb des Ladendienstes auf die Beine stellen und dass wir Energie und Ideen haben. Wir haben nächstes Jahr fünfjähriges Jubiläum am Standort Ostendplatz. Das wollen wir öffentlichkeitswirksam begehen. Da ist die lokale Vernetzung das A und O. Man lernt nicht nur Leute kennen, ist informiert über die Aktivitäten der anderen Gruppen, sondern kann auch gemeinsame Aktionen planen.
Wir haben bisher auch immer wieder Veranstaltungen durchgeführt, haben aber im Laden nicht den erforderlichen Platz. Auch deshalb ist eine Vernetzung mit lokalen Initiativen sinnvoll.
Zum fünfjährigen Jubiläum 2025 wollen wir noch mehr an die Öffentlichkeit gehen. Es wird über das ganze Jahr immer wieder Angebote geben, die den Aufhänger “wir sind seit fünf Jahren hier am Ostendplatz“ haben.
Im November 2024, schon vor dem Jubiläumsjahr 2025, zeigen wir sozusagen zum Auftakt zusammen mit anderen Weltläden im Kulturwerk den Film „The Chocolate War“. In dem geht um Schokolade, weil Schokolade gerade ein Weltmarkt-Thema ist.

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