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Stadtteilkolumne: (Un-)Wichtiges

Als ich Ende Februar gedankenverloren durch die Straßen des Stuttgarter Osten irrte, um einmal mehr darüber nachzudenken wie die Kolumne für’s Gasparitsch Blättle aussehen sollte, stieß ich unverhofft auf die Antwort dieser und vermutlich aller Fragen.
Der/die ein oder andere (inklusive mir) möchte jetzt sicherlich laut „42“ in das vor ihr liegende Zeitungspapier rufen, doch während es an dieser universellen Weisheit aus Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ keinen Zweifel gibt, geht es hier tatsächlich um etwas anderes.

Die 3 Wörtchen „Das Wichtige jetzt!“ prangen aktuell unscheinbar überall auf überdimensioniert großen Plakaten für die SPD. Diese Wörtchen öffnen mit dieser schlichten aber so tiefgreifenden Wahrheit wahrscheinlich Tausenden von Menschen die Augen. So auch mir. Wie Schuppen fiel es von meinen vor Schlaflosigkeit und Verzweiflung geröteten Augen: Nicht später, sondern jetzt sollte ich mich – nein! Wir uns alle um das Wichtige kümmern!

Angeeifert von dieser Erkenntnis setzte ich meinen Weg weiter fort: Was für Erkenntnisse sollten auf meinem Weg durch den Stuttgarter Osten mir noch zufliegen? Kann das überhaupt noch getoppt werden und wenn ja – wie?

Ich machte mich auf den Weg: Vorbei an geschlossenen Läden, menschenleeren Straßen, die gebannt auf den nächsten Heuballen warten, der kurz durchs Bild huscht, um die Einsamkeit zu demonstrieren, hin Richtung Klingenbackpark, in dem alle – und damit meine ich alle – Menschen aus Stuttgart-Ost unterwegs sind.
Während sich auf wenigen Quadratmetern allerlei Menschen durch den Park zwängen, Drachen steigen lassen, Fußball und Badminton spielen, den Kindergeburtstag der Tochter feiern, Familien sich öffentlich zerwerfen und über 20 Hunde miteinander spielen, fädelte ich mich langsam in die Spur der Laufwilligen im Park ein, um einen Blick auf weitere Plakate und damit auf weitere Erkenntnisse zu erhaschen.

Schon nach kurzer Zeit war es dann soweit: „Jeder Weg beginnt mit einer Chance.“ Völlig baff, holte mich die Message genau dort ab wo ich mich befand: Die Chance loszulaufen hat mir erst die Möglichkeit dieser wichtigen Erkenntnis – gerade jetzt – gebracht. Tief in meinen Gedanken hielt ich kurz inne und dachte darüber nach warum die regierende Partei damit wirbt die Chance zu ergreifen einen anderen Weg einzuschlagen. Durch den Stau, den ich verursacht hatte, konnte ich den Gedanken (leider) aber nicht vertiefen und ging weiter meines Weges. Ich kam dabei vorbei an Plakaten mit Sprüchen wie „Bewahren wir unseren Reichtum“, bei dem die Frage wessen Reichtum hier gemeint ist leider offen gelassen wird, und einem psychedelischen Plakat auf dem angedroht wird, dass die große Pause vorbei sei.

Nachdem mich die Masse zügig und bestimmt aus dem Park entfernt hatte hing ich eine Weile meine Gedanken nach, um dann von der Frage angeschrien zu werden: „WOLLEN WIR NICHT ALLE BESCHÜTZT WERDEN?“. Bei der Frau, die mit Großbuchstaben mir diese Frage entgegenschleuderte, handelte es sich um die jetzige Kultusministerin Baden-Württembergs, also wohlgemerkt der Frau, die ohne große Vorbereitungen und Sicherheitsvorkehrungen für Corona die Schulen so schnell wie möglich wieder öffnen wollte.

Gleich daneben – vermutlich ein Mann aus dem Rotlichtmilieu – machte in gleicher Art und Weise eine ganz andere Frage auf: „WOLLEN WIR NICHT ALLE FREIER WERDEN?“.
Also ich nicht! Bestürzt kehrte ich dem Plakat den Rücken und trat den Heimweg an.

Wie konnte das passieren? Dies verleitete mich dazu nochmals darüber nachzudenken und bin zu dem Schluss gekommen: Das Wichtige gerade jetzt ist es Plakaten nicht blind zu vertrauen. Dass nicht alle Plakate lügen zeigt aber ein anderes Beispiel: Margarine mit Gemüsebratline schmecken nämlich wirklich.*

* Wahlplakat der PARTEI.

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