S

Stadtteilkolumne: Vom Unterholz auf die Seifenkiste

So… nachdem ich meinen Post auf Facebook, Twitter, Instagram und TikTok geteilt habe, ein schickes Foto mit meinen Geschwistern, meinem Hund und meinem Schwippschwager, inklusive der Markierung von allen Beteiligten*, veröffentlicht habe, geht es endlich los. Ich packe meine sieben Sachen und gehe meiner Lieblingsbeschäftigung nach: Ich spaziere durch das (damals noch) sommerliche Stuttgarter Ost.

Nachdem sich die Sache mit der Ausgangssperre und vor allem dem Winter erledigt hat, ist wieder einiges draußen los. Doch ich umgehe die Hotspots (Parks, öffentliche Plätze, Straßen, Gehwege, Eisdielen, usw.) und kämpfe mich durchs Unterholz, um auf Nebenwegen das Geschehen meines Stadtteils zu beobachten. Ich stolpere durch die Straßen und hänge meinen Gedanken über mein Recht auf Daten und den unvermeidlichen Cookie-Bannern nach – diese elenden Dinger, die ich auf jeder Webseite wegklicken muss, aber nicht blindlings, sondern erst nachdem man nach mehreren Klicks herausgefunden hat, wie man die Weiterverfolgung und viel Juristendeutsch ausgestellt hat. Ich rege mich oft und gerne darüber auf – bestehe aber natürlich auch darauf meine eigenen Daten zu schützen.
Mittlerweile an der Ostendstraße angekommen, stehe ich vor der dort ansässigen Buchhandlung. Ich erinnere mich an meine letzten Einkäufe und Erlebnisse in dem Laden, wie ich mich immer gefreut habe, wenn mich der/die Verkäufer*in ansprach und mir ein Buch empfahl – noch mehr, wenn sich der/die Verkäufer*in meinen letzten Kauf gemerkt hatte und mir anhand dessen etwas empfahl. Ich schweife ab, denke an den Schwarzmahler, die Schleckerei und schließlich an die Friedenau, die sich allesamt bei jedem Besuch an meinen Geschmack erinnern konnten und mir mit Rat und Tat meiner ganz und gar nicht entscheidungsfreudigen Seele halfen eine Auswahl zu treffen.

Ach, waren das noch Zeiten: Rostbraten-Mittwoch in der Friedenau… Während ich noch etwas vor mich hinträume, spüre ich schon den Zorn in mir aufkommen! Moment: Wer gibt eigentlich denen das Recht sich meine Daten zu merken? Dazu habe ich ganz und gar nicht zugestimmt. Wer weiß, was die mit meinen Daten machen?

Erst nach einigen wütend und wild gestikulierenden Versuchen am Schaufenster der Ostend-Buchhandlung die Datenschutzeinstellungen per Touch zu öffnen, fällt mir siedend heiß auf, dass es sich hier nicht um einen Touch-Screen handelt, sondern ich in der echten Welt unterwegs bin – ganz ohne Touch-Screen, ohne Beschwerde-Mail und auch ganz ohne Cookie Banner.
Zum Glück hat sich die Ostendstraße an Wochentagen zu einer Art Ruhe-Oase verwandelt und nur wenige, die sich vom Stress des Alltags und den menschenüberlaufenen Parks erholen wollen, sind überhaupt auf den Straßen unterwegs und kaum einer davon hat mein peinliches Intermezzo mitbekommen. Apuh.
Ich ziehe gesenkten Hauptes weiter und widme mich meiner zuvor aufgekommen Frage und versuche mich zunächst an einer Transferaufgabe: Wie mache ich denen allen klar, dass ich das gar nicht möchte? Klar, ich profitiere davon, ich finde ein gutes Buch, kann eine neue Kaffeesorte ausprobieren und kann nur per Kopfnicken in der Friedenau bestellen, aber… zu welchem Preis?

Dazu hole ich mir bei einer Eisdiele um die Ecke mit den Worten „so wie immer“ mein Lieblingseis, schließlich muss ich mich erstmal abkühlen. Eis essend hänge ich dem Gedanken nach wie ich Formularwüsten in jedem Geschäft ausfüllen darf, stelle mir die Frage, wie ein etwaiger Löschantrag der Daten aus dem Kopf der Ladenbesitzer*innen und Mitarbeiter*innen aussehen könnte und versuche mich wieder zu fokussieren.

Zu welchem Preis? Ja, äh, gute Frage. Dafür, dass ich Produkte, die ich gut finden könnte, angeboten bekomme, gebe ich relevante Daten von mir preis

Ich stelle mir vor, wie der Großkonzern hinter REWE aus der angeblichen Tatsache, dass ich wahnsinnig gerne Gummibärentchen** esse, eine Verschwörung andichten möchte und bereits SEK zu mir nach Hause geschickt hat. Oder wie Amazon aus meinem übermäßigen Konsum von Lime & Pink Pepper Chips und dem Klickverhalten auf den (natürlich) alkoholfreien Spirituosen das nächste große Ding anheftet, um mich bei meinem nächsten Besuch gleich als Leibeigener von Jeff Bezos zu verdammen, der all meine Ideen für sich vereinnahmt, um noch viel mehr Geld zu verdienen und mich dann anstelle des Mondes einfach nur in die Milchstraße schießen lässt.
Aber all das… passiert ja nicht.

Verwirrt steige ich von meiner Seifenkiste herunter, auf der ich scheinbar seit geraumer Zeit stand. Die Menschentraube, die mir bis dato zugehört hatte – was hatte ich denn nur gesagt? Ich hoffe ich habe ihnen nichts über mich verraten. – bildeten für mich eine Gasse. So konnte ich langsam, aber sicher zurücktrotten.
Auf meinem Heimweg frage ich mich, wie es sich denn nun mit meinen Daten verhalten soll. Ist die Preisgabe von Daten generell schlecht, selbst wenn ich davon profitiere? Ich bekomme einen Geistesblitz: Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, was genau mit meinen Daten geschieht – profitiert die Gesellschaft davon, profitiert die Gemeinschaft davon und kann mit meinen gesammelten Daten etwas Sinnvolles gemacht werden?

Wenn ich zu Hause angekommen bin, schreibe ich bestimmt meinen nächsten Facebook-Post darüber.

* natürlich auch meinem Hund, der auf den sozialen Netzwerken eine deutlich größere Resonanz findet als Unserereins und den ich nur als Steigbügelhalter für meine eigenen Postings nutze.
** bewusst anonymisiert.

CategoriesAllgemein