Oder auch: Eine kleine Geschichte von Stuttgart-Ost

Die SPD aus Stuttgart-Ost hat ihr Flugblatt nach ihm benannt und auch ein Social Media Account der Linkspartei trägt seinen Namen… die Rede ist vom roten Osten, wie unser Stadtteil gerne genannt wird.

Doch wie kam es zu diesem Namen? In diesem Artikel wollen wir dieser Frage nachgehen und begeben uns auf die historischen Spuren unseres Stadtteils.

Als kleinen Disclaimer wollen wir aber noch etwas vorweg schicken: Wir sind keine Historiker*innen und freuen uns über jeden Hinweis.

Die Kolonie Ostheim entsteht

Wir befinden uns am Ende des 19. Jahrhunderts. Vor dem Hintergrund der industriellen Revolution und der wachsenden Bevölkerungszahlen kommt es zu einem massiven Zuzug vom Land in die Städte. So entwickelte sich auch Stuttgart von einer beschaulichen Residenzstadt zu einer Industriemetropole und erlebte einen rasanten Bevölkerungszuwachs. Von 1870 bis 1905 erhöhte sich die Einwohnerzahl von 90.000 auf 250.000 Menschen. Eine der größten Schwierigkeiten, die dadurch entstand, war die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, vor allem für die wachsende Arbeiterschaft.

Vor diesem Hintergrund kaufte der „Verein zum Wohl der arbeitenden Klasse“ (der heutige Bau und Wohnungsverein), unter dem Vorsitz von Eduard Pfeiffer, das Gelände zwischen Berg und Gaisburg, um dort „Wohnungen für Arbeiter in Stadtnähe“ zu errichten. Jeder Arbeiter sollte dabei ein eigenes kleines Gärtchen am seinem Haus haben und sich dadurch möglichst wohl fühlen.

Der Spatenstich zum Bau von Ostheim erfolgte schließlich 1891. Bis 1903 sollten in diesem Gebiet 383 Häuser mit beinahe 1300 Wohnungen entstehen.

Der Stuttgarter Osten wächst

In den folgenden Jahren dehnte sich die Siedlung weiter aus, da auch private Investoren die Lage erkannten und rund um den Ostendplatz bauen ließen. Im Jahr 1901 wurde durch die Eingemeindung Gaisburgs weiteres Baugelände erschlossen, welches zügig in Anspruch genommen wurde. Dadurch wuchsen die einzelnen Gebiete mehr und mehr zusammen.

Schnell siedelte sich auch Industrie unterschiedlichster Art im Osten an, darunter ein Ziegeleibetrieb im Staibenäcker, der sich bis zur Haußmannstraße erstreckte, eine Zigarrenfabrik und eine Schokoladenfabrik. Bereits 1901 führte eine Straßenbahnlinie in den Stuttgarter Osten und die Straßenbahn errichtete 1910 ein Depot im Stuttgarter Osten, auf dessen Gelände sich heute das Jugendhaus befindet.

Durch die wachsende Industrie und die zuziehenden Arbeiterfamilien entwickelte sich der Osten zunehmend zu einem Sammelpunkt für die arbeitende Klasse: Arbeiterinnen und Arbeiter in Fabriken, Wäschereien, bei der Bahn oder in umliegenden Industriebetrieben wohnten in Ost und arbeiteten auch teilweise dort.

Schnell wurde der Wohnraum knapp und rund um die Siedlung Ostheim wurden neue Siedlungen für Arbeiterfamilien gebaut, z.B. 1921 die Straßenbahnersiedlung Friedenau oder 1927 die Raitelsbergsiedlung. Diese Siedlungen ließen einerseits die verschiedenen Stadtteilgebiete des Stuttgarter Osten noch näher zusammenrücken und bildeten eine Art Brücke zum Innenstadtbereich Stuttgarts. Andererseits wurde der Osten dadurch noch mehr zum Sammelpunkt für die Interessen der Arbeitenden, was sich auch in der politischen Einstellung der Bevölkerung des Ostens ausdrückte.

Der rote Osten entsteht

Mit der raschen Entwicklung der Industrie, dem zunehmenden Arbeitsdruck sowie der zunehmenden Verdichtung von Arbeitenden in Stadtteilen, entstanden bundesweit und somit auch im Stuttgarter Osten Organisationen für Arbeiter:

  • In den verschiedenen Gebieten des Stuttgarter Ostens gab es bereits seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts Organisierungsversuche von Arbeitern im Rahmen sozialdemokratischer Parteien und Vereine.
  • Nach der Aufhebung der sog. Sozialistengesetze, die sozialdemokratische Vereinigungen verboten hatten, gründeten sich 1890 überall „sozialdemokratische Vereine“.
  • Bereits 1893, kurz nach dem Spatenstich für die Kolonie Ostheim, entstand dort der Ortsverband des sozialdemokratischen[KA1]  Vereins Stuttgarts.
  • 1907 organisierte der Stuttgarter Verein den ersten „Internationalen Sozialistenkongress“ in Deutschland in Stuttgart mit.
  • Etwa zu dieser Zeit entstanden in Stuttgart die Waldheime, die als „Erholungs- und Veranstaltungsorte mit Gaststättenbetrieb“ geplant waren. Außerdem entstand 1911 unter tatkräftiger Mithilfe des sozialdemokratischen Vereins im Stuttgarter Osten das Waldheim Gaisburg, das „als Selbsthilfeorganisation der Arbeiterfamilien und der Arbeiterbewegung“ dienen sollte.

Mit der zunehmenden Verdichtung der Arbeitenden im Stuttgarter Osten wuchs auch der Organisierungsgrad weiter an, was sich auch stets in den Wahlergebnissen zeigte:

Die sozialdemokratischen Kandidaten erhielten in den Gebieten eine deutliche Mehrheit mit Ergebnissen zwischen 70 und 84 Prozent der Stimmen. Innerhalb kürzester Zeit und unter schwierigen Arbeitsbedingungen wuchsen die Organisationen, so dass allein der „Ostheimer Bezirksverein“ 1913 schon mehr als 700 Mitglieder hatte.

So entwickelte sich der Stuttgarter Osten zunehmend zum „Hort“ der Arbeiterklasse und damit auch immer mehr zum „roten Osten“.


Stadtteilgebiete im Überblick

Entstanden ist der Stadtbezirk 1956 im Rahmen der Einteilung der Stadt Stuttgart in Bezirke. Im Stadtbezirk Stuttgart-Ost wurden fortan die 5 Stadtteile Berg, Frauenkopf, Gablenberg, Gaisburg und Ostheim zusammengefasst. Erst 2001 wurden, im Rahmen der Neugliederung der Stuttgarter Stadtteile, die Stadtteilnamen reaktiviert sowie drei weitere Stadtteile zum Stadtbezirk hinzugefügt: mit der Gänsheide, dem Stöckach und der Uhlandshöhe wuchs der Stadtbezirk Stuttgart-Ost auf insgesamt acht Stadtteile. Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die einzelnen Stadtteile. Im ersten Teil des Artikels werden zunächst die ersten vier Stadtteile vorgestellt.

Berg

Der Ortskern von Berg geht auf eine Siedlung aus dem 12. Jahrhundert zurück. 1836 wurde Berg nach Stuttgart eingemeindet. Ende des 19. Jahrhunderts „boomte“ die Industrie in Berg und es entstanden zahlreiche Fabriken, aber auch zahlreiche Wohnhäuser. In Berg – so vermutet man – wurde einer der ersten Ableger der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) gegründet. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Berg auch schon schnell als Ort des Widerstands bekannt. Hintergrund ist das „Stuttgarter Kabelattentat“ im Februar 1933, bei dem Stuttgarter Kommunisten die Übertragung einer Rede Hitlers aus der Stadthalle in Berg störten, indem sie die Leitungen mit einem gezielten Axthieb durchtrennten und damit Hitler das Wort entzogen. 

Frauenkopf

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der rund 460m hohe Frauenkopf von Obst- und Weingärtnern gerodet und besiedelt. Ursprünglich zu Rohracker gehörend, wurde der Frauenkopf während des Nationalsozialismus 1937 nach Stuttgart eingemeindet. Erst 1956 wurde er zum Teil des Stadtbezirks Stuttgart-Ost.

Gablenberg

Vermutlich irgendwann in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand Gablenberg. In Gablenberg konzentrierte man sich damals vor allem auf den Weinbau. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts änderte sich dies, Durch den Zuzug neuer Bewohner fanden das Handwerk und auch der Anbau von Obst und Gemüse, Einzug nach Gablenberg. Im 19. Jahrhundert siedelte sich immer mehr Industrie an und 1892 wurde Gablenberg zum Vorort Stuttgarts ernannt. Damit sank auch automatisch die Bedeutung des Weinbaus. Neue Siedlungen entstanden und Gablenberg wuchs und wuchs. Bei allen freien Wahlen dominierten in Gablenberg die „Roten“, mit Ergebnissen von meist über 50 %, wenn man die Ergebnisse der KPD und der SPD zusammenfasst. So wundert es auch nicht, dass die Nationalsozialisten schon im März 1933, kurz nach ihrer Machtübernahme, breit angelegte Razzien durchführten und einige Aktivisten verhaften ließen. 1956 wurde Gablenberg zum Teil des neuen Stadtbezirks Stuttgart-Ost.

Gaisburg

Gaisburg ist vermutlich im Laufe des frühen 12. Jahrhunderts als Rodungssiedlung entstanden. Zentrum des Orts war die damalige Burg (an der Stelle der heutigen Gaisburger Kirche). Die Gaisburger lebten maßgeblich vom Weinbau, später auch vom Obstbau. Im Zuge der Industrialisierung zogen viele Arbeiter nach Gaisburg und im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme der Gasfabrik (1875), vergrößerte sich das Dorf. Gaisburg war dabei bekannt für eine Vielzahl von Gaststätten, die zum Ausflugsziel vieler Stuttgarter wurde. Die Lebensverhältnisse waren jedoch miserabel: so betrug 1910 die Kindersterblichkeit in Gaisburg 34,4% (im neugebauten Ostheim zur selben Zeit: 6,4%).

Auch in Gaisburg entstanden schnell Arbeitervereine: 1897 der Arbeiterturnverein, 1875 der sozialistische Gesangsverein „Vorwärts“ (später dann Aurora), aber auch 1878 eine lockere Gruppe rund um die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP). Im Jahre 1889 wurde dann die ein sozialdemokratischer Verein gegründet. 1901 erfolgte die Eingemeindung nach Stuttgart. Die Vorherrschaft der „Roten“ jedoch blieb und Wahlerfolge wurden im damaligen Parteilokal (Stern) an der Ecke Rotenberg-/Talstr. gefeiert. 1911 wurde dann das Waldheim Gaisburg und 1932 das Waldheim Raichberg gebaut.

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